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Rowan West:
An einer historischen Orgel zu arbeiten, ist immer wieder etwas ganz Besonderes. Es erfordert Fingerspitzengefühl und Ehrfurcht vor der kunsthandwerklichen und schöpferischen Leistung der
früheren Erbauer.
So war der Auftrag zum Orgelbau in Celle für mich und meine Mitarbeiter eine Herausforderung und zugleich eine große Chance, neue Kenntnisse zu gewinnen und das, was wir über den norddeutschen
historischen Orgelbau wissen, anzuwenden.
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Die ersten Untersuchungen an den Pfeifen gaben ein völlig überraschendes Resultat: Obwohl die klingenden Prospektpfeifen im Laufe der Jahrhunderte umgearbeitet, abgeschnitten, umgestellt
und zuletzt sogar mit neuen Kernen an das Klangbild der Orgel von 1969 angepasst worden waren, gab es dennoch absolut unangetastete Originalpfeifen: In den (immer stummen) Flachfeldern des Hauptwerks wie des
Rückpositivs hatte Kröger erstaunlicherweise vorintonierte Pfeifen verwendet. Für mich als Intonateur ist so etwas ein
äußerst seltener und beglückender Fund: Das Klangideal von 1653 und die ursprünglich gemeinte Intonationsweise wird deutlich. Damit hatten wir den künstlerischen Ausgangspunkt für die Intonation der gesamten
neuen Pfeifen gefunden und die Re-Intonation der historischen, aber veränderten Pfeifen gefunden. Gleichzeitig wurde deutlich, dass die Orgel nicht nur geschichtlich und den äußeren Proportionen nach,
sondern auch klanglich sehr eng verwandt mit der noch erhaltenen Orgel in St.Cosmae Stade ist, die Berend Hus als alter Orgelbaumeister zusammen mit seinen Gesellen Arp Schnitger baute.
Zur Klangfarben- und Mensurenwahl haben wir daher diese sowie die Schnitger-Orgel in Alkmaar herangezogen; außerdem die Orgeln des einige Jahre in Celle ansässigen Orgelbauers Erasmus Bielfeldt in
Osterholz-Scharmbeck und in St.Wilhadi Stade. Interessanterweise zeigte sich außerdem, dass die Prospektpfeifen aus 99,8 % Blei ohne die sonst übliche Beimischung von Zinn bestehen. Die ungeheuere Standfestigkeit dieser Pfeifen aus so weichem Material ist beeindruckend
und nur zu verstehen, wenn man die genauen Details der Herstellungsweisen kennt. Wir haben darauf verzichtet, dieses Material für
sämtliche neue Pfeifen der Orgel zu verwenden, weil es keine ausreichende pfeifenmacherische Praxis mit solcher zinnfreien Legierung in Europa mehr gibt. Wir haben es aber dennoch mit der Pfeifenherstellung sehr genau genommen:
Alle Pfeifenmetallplatten sind auf die richtige Stärke hier gegossen worden. Dabei hat der leinenbespannte Gießtisch, der sonst üblich war, keine
Verwendung mehr gefunden - das Abkühlverfahren ist nach Forschungen der Universität Göteborg, an denen wir eigens für die Celler Orgel teilhaben
durften, ungünstig. Alle Platten sind nur von Hand gehobelt und bearbeitet worden. Hiermit wird die kristalline Struktur des Materials (anders als auf dem im Orgelbau üblichen Trommelhobel) nicht geschädigt.
Zur Wiederherstellung des historischen Gehäuses der Orgel mussten die in diesem Jahrhundert angesetzten Tischlerplatten entfernt werden. An der
historischen Fassade wurden die alten Zapflöcher wieder sichtbar, so dass die Orgel zu einem wieder selbsttragenden und vor allem wieder einheitlich schwingenden Gesamtkorpus ergänzt werden konnte.
Hierzu wird lange abgelagerte, feinjährig gewachsene Eiche verwendet. Dort, wo wir Fichte verwenden, ist es sogar dasselbe Holz, das auch für Resonanzböden
anderer Instrumente verwendet wird, nämlich astfreie Ware mit stehenden Jahresringen. Alle Oberflächen sind von Hand gehobelt, die Innenseiten des Gehäuses jedoch mit dem Schrubb-Hobel bearbeitet, um so die
Klangwellen zu brechen und zu mischen.
Eine Resonanzfrage ist auch die Windanlage: Hinter der Orgel stehen jetzt wieder vier große Keilbälge,
abgedichtet mit bestem Hirschleder. Dieses Windreservoir, durch massive Windkanäle mit den Windladen verbunden, ist der "Bauch" der Orgel, der dem Klang Gravität und Abrundung gibt. Ein Motor ist
angeschlossen; man muss ihn aber nicht benutzen: Die Bälge können ebenso gut von Kalkanten getreten werden. Viele Detailfragen könnten hier noch angesprochen werden: Die Materialwahl für alle Teile der Traktur,
die Abdichtung und Bauweise der Windladen, die Vorbildsuche für den Neubau des Spieltisches, die Übernahme der Holzverbindungstechnik des Jahres 1653 und so weiter. Ich bin jedenfalls überzeugt, dass nur
durch die genaue Beachtung der vielen kleinen Qualitätsfragen bei den Materialien und der vielen kleinen Ausführungsfragen bei den Bauweisen die Chance besteht, eine Orgel zu bauen, die - nachdem sie in den
ersten zwei Klimawechseln ihre "Kinderkrankheiten" überstanden hat - langjährige Zuverlässigkeit und vor allem langjährige Überzeugungskraft zu bieten vermag.
Auch wenn bei der Stadtkirchenorgel in Celle von einer Rekonstruktion im ganz strengen Sinne wegen der
Modifikationen nicht gesprochen werden kann, hoffen wir doch, dass es uns gelungen ist, das alte Instrument seinem Sinn und seiner künstlerischen wie handwerklichen Identität nach wieder entstehen zu lassen. Denn
das Kunsthandwerk Orgelbau hatte im Norddeutschland des 17. Jahrhunderts einen so hohen Stand erreicht, dass es nicht nur eine denkmalpflegerische Aufgabe ist, die Instrumente dieser Zeit zu erhalten, sondern dass
es noch heute eine Freude ist, nach den Arbeitsweisen dieser Zeit zu arbeiten.
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